Es ist ein bisschen so, als ob ein guter Freund gestorben wäre. Mein Blick geht ins Leere, obgleich da überall was steht und liegt. Ein schwarzer Freitag für die großartige Europäische Idee. Brexit …
24. Juni 2016 von Toni Aigner
Foto: Pixabay
OPD
England geht eigene Wege, weil überforderte EU-Architekten, ohne jeden ‚Meisterbrief‘, an einem alles überragenden Projekt arbeiten; sich dabei ständig verkalkulieren und dennoch keinen Rat annehmen – von niemandem. Mängelwesen Mensch …
Der Brexit ist die Quittung für das Versagen der gesamten EU-Führung, die ihren Vordenkern blind zu folgen und blind zu vertrauen scheinen, ohne dabei ihr eigenes Gehirn (und Gewissen) in Betrieb zu nehmen. Europas Länder in einen Superstaat oder Bundesstaat überführen zu wollen, ist eine sehr schlechte Idee, die niemals funktionieren wird, wenn die einzelnen Volkswirtschaften dafür ihre Souveränität, ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit und ihre territorialen Hoheitsrechte in den Ring werfen müssen. Nur Dummköpfe würden sich einer solchen EU-Diktatur beugen, weil diese in die Unfreiheit der Staaten und in die Unfreiheit der Bürger führt.
Die Europäische Union kann auf Dauer nur funktionieren, wenn ihr ein wohlstandsfördernder, demokratischer Geist und friedensstiftender Wert vorsteht. Die Vorteile eines fairen Binnenmarktes mit einem freien Warenverkehr, der Wohlstand für alle sichert, verstehen und akzeptieren die meisten Menschen. Auch bei den Zentralisierungstendenzen, wenn diese dem Wachstum, dem Wohlstand, dem Umweltschutz, der Bildung, der Forschung und Wissenschaft oder der inneren Sicherheit dienen, gibt es kaum Einwände von Seiten der EU-Bevölkerung.
Die EU muss eine demokratische Gemeinschaft der Menschen, eine Wirtschafts-, Bildungs-, Finanz-, Kultur- und Friedensunion sein. Und dazu gehört eben auch, dass es geordnete Austrittsmöglichkeiten für diejenigen geben muss, die es nicht schaffen – oder nicht schaffen wollen.
Der mögliche Zerfall der Europäischen Union wird von ihren eigenen Stadthaltern und Architekten zu verantworten sein. Falls die EU-Führung nicht sehr bald ihre zahlreichen Kardinalfehler eingesteht und zukünftig mit Geist, Verantwortung und gesundem Menschenverstand agiert, wird das heutige EU-Projekt definitiv scheitern. Die Sozialisierung der gigantischen Verluste von Zocker-Banken und Zocker-Anlegern (in der letzten Finanzkrise) war der größte Fehler der EU-“Eliten“. Verantwortungslose Spekulanten hätten viel stärker zur Ader gelassen werden müssen. Hiernach begann das Fundament der Europäischen Union erstmals zu bröckeln. Die Bürger fühlten sich mehr und mehr hintergangen, verraten und ausgenutzt. Der Akzeptanzverlust nahm seinen Lauf …
Die exorbitanten Griechenlandhilfen mit all den unzureichenden Sanierungsplänen und dem mangelhaften Controlling, sind ein weiteres Beispiel dafür, wie man das großartige EU-Projekt ruinieren kann. Mit solchen Dummheiten verjagt man seine besten Freunde aus dem Haus Europa; und gewinnt keine neuen, echten Freunde dazu.
Das Schengen-Abkommen über die gemeinsame Reisefreiheit im Euroraum ist eine großartige Sache, die aber nur funktionieren kann, wenn die EU-Außengrenzen zu unüberwindbaren Hindernissen ausgebaut werden – zu Festungsbauten; um illegale Einwanderer, Kriminelle und Terroristen fern zu halten. Das ist nicht passiert. Eine große Nachlässigkeit. Schon wieder sinkt das Vertrauen der Menschen in die EU-Institutionen.
OPD
Grafik: Pixabay
OPD
Mit ihrer sturen Haltung in der Flüchtlingspolitik hat unsere Bundeskanzlerin das Vereinigte Königreich eigenhändig aus der Eurozone getrieben. Von Angela Merkel haben die Brexitianer einen guten Teil ihrer Argumente für einen Ausstieg aus der Eurozone bekommen. Die völlig unkontrollierte Einwanderung von über einer Millionen Menschen, deren Zahl und Identität größtenteils bis heute nicht geklärt ist, hat n.a. zur Ablehnung der EU geführt.
Die Rückgewinnung der Kontrolle über die Einwanderung war eine der wichtigsten Forderungen der Brexit-Anhänger. Sie wollen genau das, was Merkel für unmöglich erklärt hat: Die Kontrolle der Grenzen, nicht deren Aufgabe. Merkel war die wirkungsvollste Wahlhelferin der Brexitianer, ob sie es wollte oder nicht: Die massive Einwanderung von völlig Unqualifizierten (und Terror-Schläfern?) hat das Fass zum überlaufen gebracht. Ihre teils geistlose Flüchtlings- und Türkeipolitik hat die Briten (und nicht nur die) erheblich verstimmt …
Es war ein riesen Fehler, der Türkei eine Visafreiheit in Aussicht zu stellen. Dazu hätte man die EU-Bürger über ihre Abgeordneten befragen müssen. Ein weiterer Fehler war der EU-Türkei-Deal in der Flüchtlingsfrage. Den hätten wir überhaupt nicht gebraucht, wenn die EU in Griechenland (und in Nordafrika) mehrere Flüchtlingszentren eingerichtet und betrieben hätte. Wäre den Flüchtlingen klar geworden, dass niemand mehr unkontrolliert in die Sozial- und Kuscheljustiz-Systeme der “reichen“ EU-Länder einwandern kann; der Flüchtlingsstrom wäre von ganz allein versiegt …
Der Super-GAU, der Oberwahnsinn schlechthin, war die Ankündigung der EU-Kommission, 250.000 Euro Ausgleichszahlung pro nicht aufgenommenen Asylbewerber von den Mitgliedsstaaten zu verlangen, die die Aufnahme von ihnen zugewiesenen Flüchtlingen verweigern. Die Brüsseler Sonnenkönige haben damit jeden Bezug zur Realität verloren. Die peitschen ihre Mitglieder regelrecht aus dem Euroraum. Warum keine externen Asyl- und Flüchtlingszentren (Sicherheitszonen) in Nordafrika? Von dort aus hätte man gut ausgebildete, bei uns integrierbare Flüchtlinge nach Deutschland bzw. in die EU holen können.
Die Summe aller gravierenden EU-Schwachheiten, bei denen die Bürger weder gefragt oder wenigstens im Nachhinein noch gehört und ernst genommen wurden, ergibt so ein bisschen das Bild einer diktatorischen Genickschusspolitik. Friss oder stirb, Pöpel. So läuft das aber nicht, wie wir gerade am EU-Austritt der Briten gesehen haben. Und die nächsten Anti-Europa-Stimmen sind schon zu hören. Auch in Frankreich, in Österreich, in Ungarn, in Dänemark, in Tschechien und in den Niederlanden rumort es. Wer ist der Nächste?
OPD
Foto: Pixabay
OPD
Ob die in Brüssel schon mitbekommen haben, dass alle Feuermelder klingeln? In vielen EU-Staaten gibt es eine starke Anti-Europa-Stimmung. Nach dem Brexit droht ein Domino-Effekt, wenn die EU-“Eliten“ nicht endlich zur Beichte gehen und ihre ‚Hosen runter‘ lassen. Eine schonungslose Fehleranalyse muss vorgenommen werden. Zu allen EU-Schwachheiten gibt es sinnvolle Alternativen. Und die müssen öffentlich diskutiert, ausgearbeitet und zeitnah umgesetzt werden.
Eine EU, die nicht näher an ihre Bürger rückt, wird keine Zukunft haben. Die Europäische Union wird nur akzeptiert werden, wenn alles, was in den Regionen geregelt werden kann, dort auch entschieden werden darf. Regulierungen und Zentralisierungen müssen der EU-Gemeinschaft deutliche Vorteile bringen, alternativlos sein und von den Menschen verstanden und mehrheitlich, freiheitlich-demokratisch beschlossen werden. Nur so kann es auf Dauer funktionieren …
Die Europäische Gemeinschaft muss sich als enger Freundeskreis gleichgesinnter und gleichberechtigter Staaten verstehen, die fair miteinander umgehen, Handel zum beiderseitigen Vorteil treiben und im Zentrum ihrer Bemühungen immer das Wohl und die Zukunft ihrer Völker im Blick behalten. Und dazu gehört eben auch, dass einzelne EU-Staaten flexibel auf Missstände und Fehlentwicklungen reagieren dürfen, wenn diese ihrem Land Schaden.
Das immer engmaschigere Netz multilateraler Vertragssysteme und Organisationen (EU, UNO, IWF, Weltbank, Nato, Internationaler Strafgerichtshof etc. pp.) gehört regelmäßig auf den Prüfstand gestellt, um deren Ziele, deren Effizienz und Wirtschaftlichkeit kritisch zu hinterfragen. Allein die UNO bräuchte eine Rosskur, die sich gewaschen hat. Mit einem Bruchteil des Etats könnte die Welt viel schneller zu einem besseren Ort werden. Die Vereinten Nationen sind ein reformbedürftiger Saftladen ersten Ranges. Eine völkerrechtlich legitimierte Geldvernichtungsmaschine, die die Folgen humanitärer Krisen zu lindern versucht, aber nicht die tatsächlichen Ursachen wirksam bekämpft.
“Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ heißt es in unserer Nationalhymne. Das scheint aber nur für unsere politischen “Eliten“, ihre Höflinge und Profiteure zu gelten. Die sind sich sowas von einig und nehmen sich jedes Recht für all ihre Freiheiten heraus; viel zu oft, ohne jede Rücksichtnahme auf des Volkes Stimme und Gemüt. Hier muss sich gewaltig was ändern …
Machen wir uns keine Illusionen, mit dem heutigen Personal wird die EU-Krise (und jede weitere) nicht zu lösen sein. Das Gros hat weder das Talent noch den Mut, das Richtige zu tun. Die wursteln bis zum bitteren Ende, bis in die tiefste Katastrophe hinein, weil die genau wissen, dass keine Institution, kein Richter, jemals eine Haftungsfrage stellen wird. Demokratisch legitimiertes Versagen …
Der Welten Heilung, einzig, wäre eine neue politische Kraft. Eine, die ernst genommen werden muss, weil sie es vermag, in den öffentlichen Raum, in die öffentliche Diskussion zu drängen, um einen gesellschaftlichen Diskurs über all die notwendige Maßnahmen anzuschieben, die bisher versäumt und verdrängt wurden. Politiker vom Schlag eines William Turner, der sich bei tosender See an die Masten von Segelbooten hat binden lassen, um die Fürchterlichkeit eines Sturmes unmittelbar erleben und erleiden zu können, genau solche Koryphäen braucht die Politik.
Furchtlos und seiner Sache treu …
(t.a., 24., 25., 26., 27.06.2016)